Phallus der Superlative
Wow! Mega! Wie peinlich! Pubertierende für Medienpolitik im alten Berliner Zeitungsviertel zu interessieren, macht mir am ehemaligen „taz“-Haus an der Rudi-Dutschke-Straße richtig Spaß. Da reckt sich ein Riesenpenis fünf Stockwerke hoch in den Himmel und verwandelt sich an der Eichel in den zierlichen Kopf einer Kobraschlange. „Friede sei mit Dir“ steht breit in roten Neonbuchstaben drüber.
Friede, das ist die Schlangenbeschwörerin mit den Gesichtszügen der Axel-Springer-Witwe und „Bild“-Zeitungsverlegerin Friede Springer. Sie bringt durch ihr Flöten das Manneswunder hervor. Über allem schwebt ein rosiger Putto: der selige Verlagsgründer, wie er splitternackt sein Bundesverdienstkreuz präsentiert.
Für Stadtführer wie mich ist dieses Riesenrelief ein Megageschenk. Immer, wenn ich mit einer Gruppe in die Rudi-Dutschke-Straße einbiege, fürchte ich, die Sehenswürdigkeit könnte über Nacht abgeräumt worden sein. Als der Riesenpenis im Jahr 2004 angebracht wurde, wollte ihn die soeben berufene „taz“-Chefredakteurin Ines Pohl gleich wieder weghaben. Doch sie konnte sich gegen eine knappe Mehrheit in der Redaktion nicht durchsetzen.
Das Relief des Künstlers Peter Lenk spielt auf einen Rechtsstreit zwischen der „taz“ und dem langjährigen „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann an. 2002 hatte die „taz“ in einer Satire behauptet, Diekmann habe seinen Penis verlängern lassen. Daraufhin forderte dieser 30.000 Euro Schmerzensgeld. Das Berliner Landgericht fällte ein salomonisches Urteil: Die „taz“ durfte die Falschbehauptung nicht weiterverbreiten, musste aber nichts zahlen. Denn Diekmann, so die Richter, ziehe in seinem Beruf Gewinn daraus, dass er Persönlichkeitsrechte regelmäßig verletze. Ein „Bild“-Chef müsse es aushalten, dass er an den eigenen Maßstäben gemessen werde.
Seinerzeit war der sexuell übererregte Mann an der „taz“-Wand anhand von Gelfrisur und Brille sofort als Kai Diekmann zu erkennen. Für Jugendliche von heute ist die Figur erklärungsbedürftig. So wie der ausgemusterte Nationalstürmer Mario Gomez mit seiner Schlagzeile: „Erstes Tor mit Penis geschossen.“ Wenig gealtert wirkt die Headline „Wer macht mich im Dschungelcamp zur Frau?“ und brandaktuell der kleine Prinz hinter seiner Schlagzeile „Königlich! Charles nackt!“ Auch sexistische Geschmacklosigkeiten im Stadtbild können didaktisch sehr wertvoll sein.
In: Der Tagesspiegel vom 2. April 2023
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